22.08.2023
Wer kennt es nicht? Du bist in einer Weinregion unterwegs oder hast es zumindest vor und willst am liebsten ein paar Betrieben einen Besuch abstatten. Und dann geht es los: wie plane ich das? Haben die überhaupt Zeit? Was kostet mich das? Und wie schreibe ich die Weingüter am besten an? Damit die Reise- und Besuchsplanung ein echter Erfolg wird und sogar Freude bereitet, bekommst du hier die besten Tipps für deine Weinreise, zusammengestellt aus Interviews mit Branchenexpert:innen und ergänzt um meine Erfahrungen.
Gleich ein Tipp zu Beginn: je nachdem, welchen Zweck du mit deinem Besuch verfolgst, kann der ein oder andere Tipp vielleicht schon zu detailliert oder professionell sein. Such dir einfach das raus, was du für dich brauchst.
Hausaufgaben machen
Die beste Art und Weise, Land und Leute kennenzulernen, ist ein Vorortbesuch und sich auf die Kultur einzulassen. Eine Recherche macht vorab also extrem viel Sinn. Das hilft nicht nur dabei, die Region vorab etwas zu verstehen und die Möglichkeiten auszuloten, sie gibt auch einen guten Überblick, was für dich überhaupt sinnvoll und sehenswert ist. Und das ist so individuell, wie wir selbst alle sind.
„Beschäftige dich mit der Region, der Kultur und der lokalen Weinszene, bevor du dort hingehst“, sagt Marcus Wieschhoff, Studiengangsleiter im Internationalen Weinmarketing an der FH Burgenland. „Wir führen pro Semester eine Exkursion in ein Weinbaugebiet durch, die von den Studierenden organisiert wird. Eine gründliche Recherche vorab ist eine sehr gute Basis, um bestens auf den Trip vorbereitet zu sein.“
In vielen Regionen gibt es hunderte Weingüter. Von daher ist es sinnvoll, mit Google und Webseiten von regionalen Weinbaubetrieben auf die Suche nach passenden Betrieben zu gehen oder auch persönliche Kontakte, um Rat zu fragen. Auch auf den Webseiten der Betriebe selbst finden sich oft ausführliche Informationen zu Philosophie, Weinbau und Weinstilistik.
Lass dich hier nicht von in die Jahre gekommenen Webseiten irreführen. Das kann auch ein Zeichen dafür sein, dass der Betrieb sich ganz auf sein Handwerk fokussiert und schlichtweg nicht die Zeit findet, sich der Webseite zu widmen. Einige der besten Weingutsbesuche, die ich je erlebt habe, waren bei Betrieben, deren Internetauftritt eher abschreckend wirkt.
Eine weitere gute Quelle sind Nachschlagewerke wie der World Atlas of Wine und das Oxford Companion to Wine oder die Webseiten und Materialien der für die Weinregion zuständigen Konsortien.
Achtung: in den meisten Ländern sind die Organisationen landesweit tätig, etwa Wine GB in England, das DWI in Deutschland oder die ÖWM in Österreich. Es gibt allerdings auch Länder wie Frankreich, Spanien oder Italien, wo die Regionen dezentral organisiert und verwaltet werden. Dort gibt es meist regionale Ansprechstationen wie das CIVB in Bordeaux oder Vini Alto Adige in Südtirol.
Packe deine Informationen in ein Dokument zum Nachlesen, damit du auch vor Ort noch einmal darauf zugreifen kannst. Ergänze dies um eine Liste aller Weingüter, die dich interessieren. Du wirst nur einen Bruchteil besuchen können, also lass die Liste gern etwas länger ausfallen.
Rein in die Planung
Du weißt nun, welche Region und welche Betriebe dich interessieren. Da klassischerweise nicht alle Weingüter Zeit finden oder gar antworten, gilt hier Masse statt Klasse. Schreibe einfach so viele Weingüter wie möglich an und frage nach deinen gewünschten Leistungen. Das kostet etwas Zeit, zahlt sich am Ende jedoch immer aus. Vielleicht kannst du dann sogar deine Lieblingsbetriebe wählen. Hierbei hilft in jedem Fall eine Priorisierung der Weingutsliste, etwa in „auf jeden Fall“, „schön, wenn es klappt“ und „wenn es sein muss“. Auch wenn der letzte Begriff etwas abwertend klingt, hier geht es schlichtweg um eine Sortierung für dich und dein Ziel und nicht um mangelnde Wertschätzung der Betriebe gegenüber. Schließlich willst du deine Zeit auch effizient einteilen. Und bevor du gar keine Betriebe besuchen kannst, macht ein Einblick in die Region in jedem Falle Sinn. Auch hier habe ich schon versteckte Schätze gefunden, obwohl es die vorherige Recherche nicht vermuten ließ.
Grundsätzlich ist es immer gut, dem Weingut selbst ein klares Bild zu vermitteln, was du erwartest. Bist du nur auf eine Verkostung aus und magst den Besuch des Weinguts genießen oder soll es doch in eine professionelle Richtung gehen? Sowohl für deine Seite als auch die des Weinguts ist das sehr wichtig: das Weingut stellt für Besuche oft Personal bereit oder nimmt sich seine kostbare Zeit, um dich zu empfangen. Gute Betriebe bereiten sich selbst teilweise sehr akribisch auf solche Besuche vor, um die Gastfreundschaft maximal ausleben zu können. Für dich ist es wichtig, damit du bekommst, was du erwartest und dir auch klar ist, was du ggf. an Kosten einplanen musst.
Zum Thema Kosten: Weintourismus boomt! Seit vielen Jahren bieten Betriebe mehr als nur Weinproben durch das Sortiment an. Sie verkaufen Erlebnisse! Von daher ist es auch nicht verwunderlich, dass Regionen wie Napa Valley (wir haben in Podcast Folge #080 bei Pinot & Pixel darüber berichtet) oder Südafrika teilweise hohe zweistellige oder gar dreistellige Beträge für Verkostungen berechnen. Kläre das in jedem Fall vorher ab, damit vor Ort keine Enttäuschung oder Überraschung entsteht.
Wenn du einen Besuch vereinbarst, lass also das Weingut wissen, was dein Hintergrund ist, mit wieviel Personen du anreist und welche Erwartungen du hast. Auch wenn es statistisch nicht belegt ist, habe ich immer positive Erfahrungen damit gemacht, den Betrieben mitzuteilen, dass ich einen professionellen Weinhintergrund habe und vorrangig an ihrer Philosophie und ihren Methoden interessiert bin.
„Betriebe freuen sich riesig, wenn du nicht nur zum Trinken kommst, sondern wirklich an ihrer Philosophie und ihrer Geschichte interessiert bist“, sagt Anna Stummer, die schon einige Bereiche der Weinwelt gesehen hat. „Ich finde tiefgründige Gespräche über Weinbau, Weinstil und Genuss viel interessanter als schnöde Verkostungen, und die Betriebe meist auch.“
Profi-Tipp: wenn die Philosophie im Vordergrund steht und die Betriebe darauf vorbereitet sind, passiert es oft, dass aus einem spannenden Gespräch vor Ort noch ein Tasting resultiert, für das andere evtl. Geld bezahlen. Erwarte das auf keinen Fall! Meine Erfahrungen zeigen allerdings, dass diese Betriebe dann natürlich auch gern ihre Weine zeigen. Und wenn ihr gemeinsam zukünftig sogar beruflich arbeiten könnt – Veranstaltungen, Messen, Import oder Handel – ist es ein Gewinn für beide Seiten.
Pünktlich sein und Erwartungen abklären
Viele Betriebe sind heute auf Besuche vorbereitet und haben ein standardisiertes Leistungsportfolio. Oft kannst du hier wählen, ob du verkosten, den Weinberg oder den Weinkeller besuchen willst oder gar Touren buchen möchtest. Solltest du diesbezüglich keine Informationen auf der Webseite des Betriebes finden, frag einfach an, was dich interessiert.
Einer meiner besten Besuche war bei Jo von Domain Landron im Muscadet - ein vielbeschäftigter Winzer mit fantastischen Weinen und einer genialen Philosophie. Er hat mich drei (!) Stunden durch die Weinberge geführt und war total in seinem Element. Danach haben wir das gesamte Portfolio verkostet und sogar ein kleines Interview geführt. Lieblingszitat meines Besuches: „Weinkeller hast du sicher schon genug gesehen, lass uns in die Reben fahren!“. Solche Erfahrungen bleiben.
Terminvereinbarungen sind extrem wichtig für beide Seiten. Auch wenn in manchen Kulturen punktgenaue Meetings kein Alltag sind, zeigt sich in der Weinbranche fast immer, dass beide Seiten eine gewisse Verlässlichkeit erwarten und auch bevorzugen. Und wenn es später wird oder ausfallen muss, sag in jedem Fall telefonisch ab! Es gibt nichts Schlimmeres, als Zeit anderer Menschen zu verplanen und sie dann zu versetzen. „Die Gastronomie hat in der corona-intensiven Zeit bis 2022 eine echte Sinneswandlung bei der Kundschaft erlebt“, sagt Elisa, Gastwirtin eines Weinbistros in Frankfurt (Name redaktionell geändert), „Die Leute reservieren und tauchen dann einfach nicht auf. Leider ist das kein Einzelfall mehr und wir haben oft leeres Haus oder können Tickets nicht mehr an andere Interessierte verkaufen.“ Viele Betriebe nutzen mittlerweile sogar Online-Tools für die Reservierung und rechnen vorab den Ticketpreis ab. Auch Reservierungen werden mittlerweile berechnet, um den finanziellen Ausfall etwas geringer zu halten.
Klar: Webseite buchen ist einfach. Nur eben auch etwas unpersönlich. Und es kann sein, dass du dann Teil einer großen Gruppe bist, die mit einem Standardprogramm betraut wird. Wenn das für dich fein ist, umso besser. Doch gerade persönliche, individuelle Einblicke sind oft die wertvolleren. Wenn du also jemanden kennst, der eine Beziehung zu einem Betrieb hat, ist dies in jedem Fall der bessere Weg. Und selbst wenn du selbst so jemanden nicht kennst, gehe auf den Händler deines Vertrauens zu und bitte ihn um Unterstützung. „Wir vermitteln immer gern Interessierte an unsere Weingüter“, sagt Kilian Kreis vom Weinhandel Wein Kreis aus Stuttgart."
Profi-Tipp: wenn du (junger) Sommelier oder Sommelière bist, lass es die Betriebe gern wissen. Diese freuen sich meist, wenn Nachwuchs Interesse an ihren Weinen zeigt, da dieser nun mal der Verkaufspunkt Nummer 1 in Restaurants ist und ihre Loyalität einen großen Hebel hat. Wenn beim Besuch dann eine gemeinsame Verbindung entsteht, ist der langfristige Effekt für beide sehr positiv.
Auf Weinreisen alles zu sehen, ist quasi unmöglich, außer du hast ein paar Monate Zeit. Beschränke dich also auf deine Lieblingsbetriebe. Egal, welche Optionen sich für dich auftun, du solltest maximal drei Betriebe am Tag einplanen. Achte auch darauf, die Fahrzeit, Zeit für einen Happen zu essen und etwaige Verzögerungen beim vorherigen Betrieb mit einzuplanen. Erfahrungsgemäß dauern Besuche immer gute zwei Stunden. Wenn du also gegen 10 mit dem ersten Betrieb startest, ist ein Ende gegen 19 Uhr realistisch. Und du willst ja den gerade angesteuerten Betrieb nicht überhastet verlassen oder abreisen, bevor du deine Weine mitnehmen konntest, oder?
Rein in die Tour
Der Tag ist gekommen, deine Besuche stehen an. Ich brauche an dieser Stelle nicht nochmal betonen, dass pünktlich sein eine gute Sache ist, oder? Gut.
Nimm dir etwas zu schreiben mit. Check die Stifte auf Tauglichkeit. Wenn du digital unterwegs bist, lade die Akkus auf. Wenn du vor Ort Foto- oder Videoaufnahmen machen willst, frag vorher um Erlaubnis und biete an, die Betriebe zu verlinken, falls du das Material auf Social Media veröffentlichst. Ich habe noch nie erlebt, dass dies ein Betrieb abgelehnt hat. Wenn es sensible Bereiche gibt, weisen die Weingüter stets daraufhin. Gerade, wenn es in die Schatzkammer des Weingutes geht oder nicht öffentliche Bereiche, habe ich das schon öfters erlebt. Bitte respektier das auch so. Wenn du hier entgegen den Wünschen der Betriebe handelst, kann das auch für alle nachfolgenden Besucher:innen dauerhaft zu einem Nachteil führen, weil sie aufgrund deines Handelns nicht mehr in den Genuss kommen können, die Bereiche zu besichtigen.
Bei größeren Touren oder Exkursionen bietet sich ein vorab auf das Weingut abgestimmter Fragenkatalog an. Natürlich ist es schön, einen Plausch vor Ort zu führen. Ich würde meine Zeit dennoch nicht darin investieren, die Fakten des Betriebes abzurufen, die eh auf der Webseite zu finden sind. Konzentrier dich auf das, was dich wirklich interessiert. Und wenn deine Art der Kommunikation eine vertrauensvolle Umgebung schafft, teilen die Winzer:innen auch gern mal Dinge, die du sonst nirgendwo nachlesen kannst.
Wenn es dann zum Kosten kommt, ist Spucken in jedem Fall eine gute Idee, auch wenn du nicht für das Fahren des Autos verantwortlich bist. Und selbst hier ist Vorsicht geboten: der Mensch nimmt über die Schleimhäute im Mund auch Alkohol auf und ich würde nach dem Verkosten von etwa 50-60 Weinen an einem Tag niemandem empfehlen, auf der Fahrerseite eines Autos einzusteigen. Plan das mit ein! Und wenn du noch einen Grund fürs Spucken brauchst: zum einen kannst du dich am nächsten Tag ohne Kopfschmerzen noch an alles erinnern und zum anderen kannst du deine Schrift vom Vortag noch lesen.
Zum Thema Verpflegung: viele Weingüter reichen gern für einen schmalen Obolus ein paar Snacks zur Probe. Wenn dem nicht so ist oder du dein Essen gern selbst organisieren magst, plane in jedem Falle Stopps dafür ein oder bereite dein Essen rechtzeitig zu Hause vor. Selbst, wenn du alles ausspuckst und brav Wasser trinkst, merkst du nach ein paar Stunden, dass eine solche Tour ohne Essen eher eine blöde Idee ist. Achte dabei darauf, dass du keine Dinge zu dir nimmst, die deinen Gaumen vor dem nächsten Tasting einnebeln. Scharfes oder würziges Essen, tannin- oder säurehaltige Speisen solltest du also vermeiden. Und vielleicht ist auch ein Espresso zwischen den Terminen nicht der beste Tipp, wenn dein Gaumen mit den Gerbstoffen darin nicht so klarkommt.
Apropos, Gaumen vorbereiten. „Vormittags zwischen 10 und 12 ist die beste Zeit, um Weine zu verkosten“, pflegt Walter Kutscher, Vorsitzender des Sommelierverbandes immer zu sagen. „Da sind die Gaumenknospen richtig auf Empfang.“ Wichtig ist hier, den ersten Wein des Tages nur zum Ausspülen des Mundes herzunehmen, gern auch mit einer mitgebrachten Flasche (falls das Weingut nur geringe oder hochwertige Proben bietet). So sagst du deinem Mund: „So, jetzt kommt Wein. Stell mal auf Genuss um!“
Viele Verkostungsprofis haben zum Auffrischen zwischen den Tastings zusätzlich eine Flasche Sprudelwasser dabei, um den müde werdenden Gaumen wieder aufzufrischen. Das ist deswegen so wichtig, weil in den Verkostungen vor Ort meist junge oder frischgefüllte Weine stehen, vielleicht sogar Fassproben.
Die Nachbereitung
So, du hast du dein Erlebnis hinter dich gebracht. Das Auto ist voll mit Wein, der Kopf mit Fakten und Erinnerungen. Was nun?
Besuche auf Weingütern sind auch hervorragende Gelegenheiten, um Kontakte zu knüpfen, die über die eigentliche Reise hinaus andauern können. Das gilt sowohl für die Betriebe als auch die Teilnehmer:innen der Weinproben. Frag also stets nach der Visitenkarte des Gastgebers. Ich selbst schreibe bei besonderen Verkostungen stets eine persönliche Nachricht und bedanke mich.
Auch das Dokumentieren auf Social Media gehört für viele von uns dazu. Verlinke hier gern die Betriebe und gib anderen die Chance, auf das Weingut aufmerksam zu werden. Das ist kostenlose Werbung für die Betriebe, und sie sind meist sehr dankbar dafür. Und so manche, auch weltberühmte Marke hat schon schöne Stories repostet, was wiederum auf deiner Seite zu mehr Reichweite führen kann.
Also, du siehst, es gibt es keinen besseren Weg, etwas über die Weinwelt zu lernen, als durch Besuche bei den Erzeugern. Ein echtes Interesse an ihrer Philosophie und Begeisterung für die Produkte ist das Optimum, was du mitbringen kannst. Und wenn du nur zum Genießen und Kosten vorbeikommst, ist das auch für alle fein, solange beide Seiten darüber Bescheid wissen.
In diesem Sinne: viel Spaß beim Recherchieren, Lernen und Verkosten!
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